Harry Kemelmann - Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Seit einiger Zeit lese ich sie wieder und mit großem Genuss: die Romane von Harry Kemelmann rund um den Rabbi David Small. Wer war der heute schon fast unbekannte Autor und um was geht es in diesen kleinen Bändchen? Kemelmann lebte von 1908 bis 1996 in Massachusetts/USA. Er war Kind russisch-jüdischer Einwanderer und hat als Professor für englische Literatur am Boston State College gearbeitet.

 

In der Mitte der Sechzigerjahre begann er seine Romane um Rabbi David Small zu schreiben, der in einem kleinen Ort namens Barnard’s Crossing in der Nähe von Boston, also an der Ostküste Amerikas lebt. Small ist ein Spezialist für Pilpul, eine am Talmud orientierte Form der Wahrheitsfindung, die auf kleinste Unterschiede zielt. Leider gerät der Rabbi auch dadurch immer wieder in Gegensatz zu seinen Gemeindegliedern.

 

Worum geht es nun im vorliegenden Buch? Der Schüler Moses Carter hat ein Problem mit Rauschgift und Alkohol; schon angetrunken trifft er am Strand auf eine Gruppe Gleichaltriger, die ein Picknick macht und der er sich anschließt. Die Gruppe verlässt nach einer Zeit den Strand, um Schutz vor einem sintflutartigen Regen zu suchen. Kurzerhand brechen die jungen Leute in eine nahe gelegene Villa ein. Dort wird weitergefeiert, bis Moses volltrunken umkippt. Er wird von den anderen auf eine Couch gebettet. Dort soll in einem Möbelbezug aus Plastikfolie seinen Rausch ausschlafen. Die Gruppe verlässt zuletzt geschlossen die Villa.

 

Der Polizeichef des Ortes Chief Lanigan findet heraus, dass danach ein Besucher der Villa dem Betäubten die Folie so um den Kopf gewickelt hat, dass Moses erstickt. Das ist einwandfrei Mord. Zugleich wird ein polizeibekannter Rauschgifthändler in Boston umgebracht. Hat dieser Fall vielleicht etwas mit dem Tod des Schülers, der selbst Konsument und wahrscheinlich Dealer war, zu tun? Natürlich sind nicht nur die Mitglieder der Gruppe verdächtig, sondern auch der Hausmeister der verlassenen Villa.

 

Außerdem gibt es dicke Luft in der Synagoge der Gemeinde von Barnard’s Crossing. Zwei Fraktionen haben sich gebildet: die selbsternannten „Fortschrittlichen“ um Ben Gorfinkel, die die Synagoge zum Mittelpunkt gesellschaftlicher Aktivitäten machen und die alte Sabbat- Sitzordnung abschaffen will, und der Kreis um Meyer Paff, einem Kegelbahnbesitzer, der das ganz anders sieht und sich selbst als Traditionalist bezeichnet.

 

Nachdem Meyer Paff keine Mehrheit im Vorstand der Gemeinde für seine Haltung findet, beschließt er mit einigen potenten Freunden, eine zweite Gemeinde zu gründen. Die Villa, in der Moses sein Leben verlor, soll dabei eventuell das neue Gemeindezentrum werden. Außerdem macht Paff dem Rabbi den Vorschlag, bei höherem Gehalt in die neue Gemeinde zu wechseln. Das lehnt der Rabbi aber ab.

 

Natürlich wird an dieser Stelle nicht verraten, wer der Mörder war. Und ob der Bruch der Gemeinde gekittet werden kann, natürlich auch nicht. Aber jenseits der Frage nach dem Whodunnit liefert der Krimi viele – zum Teil ausgesprochen vergnüglich zu lesende – Dialoge zwischen den Konfliktparteien innerhalb der Gemeinde. Und er bildet die Geschichte der US-Ostküste in den Siebziger- und Achtzigerjahren wunderbar ab und führt den interessierten Leser außerdem ein in die Welt des jüdischen Glaubens in diesem Teil der Welt.

 

Insgesamt hat Kemelmann diverse Romane um David Small geschrieben, die ursprünglich bei Rowohlt in der Krimireihe erschienen sind. Nun sind sie im Union Verlag neu aufgelegt worden.

 

Harry Kemelmann, Am Sonntag blieb der Rabbi weg, Union Verlag,. 240 Seiten kosten € 14. Die EAN lautet 978-3-293-20711-0.

 

 

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