Auch dreißig Jahre nach der Vereinigung Deutschlands hakelt es zwischen Ost und West. Ein großer Teil der ostdeutschen Bevölkerung beurteilt den Zustand der inneren Einheit Deutschlands kritisch. Für 60 Prozent hat sich das Verhältnis zwischen Ost und West seit der Wiedervereinigung sogar noch deutlich verschlechtert. „Nur 33 Prozent der Ostdeutschen finden, dass sich die Menschen aus Ost und West näher gekommen sind,“ schreibt die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ am 3. Oktober 2018.
Woran liegt das? Das Buch von Birk Meinhardt bietet vielleicht auch einen Teil einer Erklärung dafür. Aber worum geht es ihm eigentlich? Der Journalist, ursprünglich Mitarbeiter der „Weltwoche“ in der damaligen DDR, arbeitet von 1992 bis 2012 bei der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ), zuerst im Sportressort, später auch als Reporter. Nach zwanzig Jahren Mitarbeit bei „seiner Zeitung“ kündigt er seine Stelle. Und nach weiteren acht Jahren legt er einen Rückblick vor.
Die Rückschau beginnt mit dem Start in München: Meinhardt wird als Ost-Import hofiert und auf vielen Ebenen gefördert. Auch der damalige Chefredakteur freut sich, dass jetzt endlich auch eine „ostdeutsche“ Meinung in die Berichterstattung mit einfließt. Das geht über Jahre gut. Meinhardt schreibt zuerst über Sport, viel für die Glosse auf Seite 3 und später über allgemeine Themen. Dafür erhält er zweimal den renommierten Kisch-Preis.
Und trotzdem beginnt bereits damals ein Prozess der Entfremdung. Anhand von vier abgedruckten Reportagen führt Meinhardt uns vor, was sich da zwischen ihn und seine Zeitung geschoben hatte. 2004 möchte er einen zweiteiligen Beitrag als „Reportage über das (Un-)Wesen des Investmentbankings, die Dominanz des ‚Zockens‘, die Risiken von zu geringer Eigenkapitalrendite von Banken“ am Beispiel der Deutschen Bank vorlegen. Aber der Chef des Wirtschaftsressorts legt ein Veto ein und die Chefredaktion verlangt umfangreiche Nachbesserungen, die diesen fast prophetisch zu nennenden Artikel verhindern.
2010 recherchiert er erneut; diesmal geht es um eklatante Fehlurteile bei der Verurteilung zweier Rechter bzw. ehemaliger Rechter in Deutschlands Osten. Erst vier Jahre nach dem erstinstanzlichen Urteil stellte sich heraus, dass der Angeklagte unschuldig war. Den verantwortlichen Richter – so Meinhardt – könne man mit Fug und Recht als befangen bezeichnen. Auch dieser Artikel darf in der SZ auf Intervention der Chefredaktion nicht erscheinen, da er den Neonazis als Vorwand für ihre Politik dienen könnte.
Meinhardt bemerkt zunehmend, dass die doch ursprünglich freie Recherche zu einem Thema von der Redaktion bereits im Vorinein zu bestimmten Resultaten führen muss. Vieles in der SZ missfällt ihm inzwischen. Schweren Herzens lässt er sich beurlauben und geht schließlich ganz. Aus ökonomischen Gründen versucht er noch einmal einen Neustart, der aber auch misslingt.
Man muss nicht alle Meinungen, die der Autor in diesem Buch entwickelt, teilen. Aber die auch sprachlich herausragende Analyse über den aktuellen Zustand des Journalismus scheint mir gerade jetzt eminent wichtig. Und ja: Wer wissen möchte, warum der Osten Deutschlands politisch anders tickt als der Rest der Republik und warum das wohl auch geraume Zeit noch so bleiben wird, kommt an diesem kleinen, weisen Buch nicht vorbei.
Birk Meinhardt, „Wie ich meine Zeitung verlor. Ein Jahrebuch“ ist in der Verlagsgruppe Eulenspiegel im Verlag Das Neue Berlin unter der EAN 978-3360013620 erschienen und kostet 15 Euro.
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