Für das Gros der musikgeschichtlich Interessierten ist es nur eine Fußnote: Johann Mattheson war als Musiker um 1704 an der hamburgischen „Oper am Gänsemarkt“, dem Laboratorium der Barockmusik in Nordeuropa, engagiert, und traf dort auf Georg Friedrich Händel. Nach anfänglicher Freundschaft gerieten beide in einen Streit, der in ein Duell mündete, das zum Glück ohne Folgen blieb. Auf über 380 Seiten räumt Holger Böning Mattheson nun den ihm zustehenden Platz in der Musikgeschichte ein und erzählt uns von einer ausgesprochen farbigen, vielschichtigen Künstlerpersönlichkeit, die in vielem genialische Züge trägt.
Das beginnt schon früh. Als Kind hamburgischer Bürger genoss Mattheson eine vielseitige Ausbildung in den gängigen Sprachen der Zeit und vor allem in der Musik. Schon als Junge zeigte er eine überdurchschnittliche Begabung und erhielt Unterricht in Orgel, Cembalo, Gesang, Violine, Laute, Blockflöte und Oboe. Seine erste Oper schrieb er mit achtzehn Jahren und trat in dieser Zeit – wie bereits zuvor – auch als Sänger in Erscheinung.
Beruflich orientierte sich Mattheson dann aber doch anders; zu unsicher waren auf die Dauer die Perspektiven als Musiker. Er wird stattdessen Sekretär und Korrespondent des englischen Gesandten in Hamburg, eine Tätigkeit, die man sich gar nicht anstrengend und ausfüllend genug vorstellen kann. In den ersten Jahren seiner Berufstätigkeit kommt er daher auch kaum dazu, sich musikalisch zu betätigen. Das Musizieren bleibt aber trotzdem seine große Passion. Das Schreiben über Musik wird zunehmend wichtig, wobei ihm seine berufliche Tätigkeit ganz sicher half.
Mattheson bezog ein Leben lang zu musikrelevanten Themen seiner Zeit Stellung. Anders als die zeittypische Auffassung, die Musik als grundsätzlich kontrapunktisch geprägtes Geschehen denkt, möchte er die Musik befreien. Sie solle ihren eigenen Regeln folgen und das Gefühl des gebildeten, des „wohlerzogenen“ Hörenden anrühren. Diese Vorstellung, die man durchaus dem aus Frankreich kommenden „galanten Stil“ zuordnen kann, hat Mattheson in seinen verschiedensten Schriften geschickt vertreten und ausgebreitet.
Wichtig waren ihm aber auch die Musiker. Ihre Situation beschrieb er ausführlich und warb für bessere Bezahlung und mehr Ansehen in Öffentlichkeit der Zeit. Nur „gebildete“ Musiker seien in der Lage, „gute Musik“ zu spielen. Und eines war ihm besonders wichtig: Musiker sollten sich nicht durch die Musikkritik beeinflussen lassen. Natürlich war nur ein im Sinne von Mattheson „gebildetes“ Publikum in der Lage sein, solch eine Musik wertzuschätzen.
In den zentralen Medien der Zeit der Aufklärung, den Zeitschriften und Lexika, trug Mattheson ausführlich und durchaus polemisch vor. Er war damit wohl der erste Musiksoziologe seiner Zeit und zugleich ein luzider, scharfer Musikkritiker. Dabei war er sich seines eigenen Wertes durchaus bewusst und griff seine Berufskollegen zuweilen hart an. Und diese reagierten verständlicherweise verärgert.
Mattheson polarisierte und war seinerseits überhaupt schwer in der Lage, Kritik an der eigenen Person oder seinen Standpunkten zu ertragen. Ganz im Gegensatz zu dem von ihm geschätzten Musikerkollegen vor Ort, Georg Philipp Telemann, der geräuschlos den gesamten Kirchenmusikbetrieb im Hamburg managte, eckte er immer wieder an und zerstritt sich zum Beispiel 1728 mit den Sängern am Hamburger Dom.
Holger Böning entwirft in diesem Buch ein spannendes Porträt eines der wichtigsten Musiker dieser Zeit, der in seinen Schriften und seiner Musik bis heute nachwirkt. Die Lektüre lohnt sich unbedingt, der verlegerische Einsatz für dieses Buch scheint mir enorm zu sein. Wie schön, dass die Hamburger Wissenschaftliche Stiftung diese Bemühungen unterstützt hat. Jetzt fehlt zu meinem Glück eigentlich nur noch mehr Musik dieses weit über Hamburg hinausweisenden Barockmusikers.
Dies Buch ist unter der EAN 978-3-943245-22-6 in der Edition Lumière erschienen, hat 380 Seiten und kostet lediglich 24,80 Euro.
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