Robin Lane Fox – Augustinus
Wenn ich mich noch vor einem halben Jahr Jahr gefragt hätte, ob es sinnvoll sei, eine Augustinusbiografie von über 740 Seiten zu lesen, hätte ich das glatt verneint. Was ist passiert? Ich hatte den „Fehler“ begangen, ein paar Seiten des ganz außergewöhnlichen Vorworts zu lesen. Und dann konnte ich nicht wieder aufhören. Das ist mir mit dem anderen großen Meisterwerk von Lane Fox, „Die Klassische Welt“ (Klett-Cotta), genauso gegangen.
Aber die Frage ist wohl eher, wie es Lane Fox jedesmal schafft, den Leser so für sein Buch einzunehmen, dass er all die Bedenken wegen vermeintlich mangelnder Vorbildung sofort beiseite schiebt und liest? Bei Augustinus sind es drei ganz unterschiedliche Vorworte, die uns für den zweifelsohne komplizierten Gegenstand einnehmen, insbesondere der – wie ich es nenne – Mehr-Personen-Vergleich, der nicht nur Augustinus, sondern insgesamt drei Personen beschreibt: auch den Heiden Libanios und den Christen Synesios. Beide sind Zeitgenossen des Augustinus, und wir erhalten damit eine ganz neue Möglichkeit, Augustinus‘ Besonderheit in seiner Zeit wahrzunehmen. Nebenbei macht der Vergleich zu den anderen Lebensläufen den Text deutlich weniger sperrig.
Was ist weiter wichtig für ein Buch über das Leben des Augustinus? Worauf kann der Autor dabei bauen? Ganz wichtig ist die Quellenlage, auf die Lane Fox mit diesem Buch zurückgreifen kann. Wo bei anderen Berühmtheiten der Spätantike nur wenige unmittelbare schriftliche Quellen erhalten geblieben sind, gibt es eine ungeheure Materialvielfalt mit Texten dieses großen spätantiken Kirchenlehrers, nicht nur die „Confessiones“, sondern viele andere Schriften, die uns mit dem geistigen Werdegang des Augustinus bekanntmachen und die Lane Fox für alle Lebensphasen sorgfältig in seine Interpretation einbezieht. Wie für jeden Wissenschaftler ist es für ihn eine Selbstverständlichkeit, andere begründete Meinungen zum großen Thema Augustinus in seine Interpretation aufzunehmen oder eben zu verwerfen. Das erfolgt ruhig und souverän.
Und so können wir uns ganz beruhigt diesem wunderbaren Erzähler anvertrauen, der uns durch die verschiedenen Lebensstationen des Augustinus begleitet:
‒ durch die Kindheit und Jugend in der nordafrikanischen Stadt Thagaste in der römischen Provinz Numidien, mit dem wohl durchaus typischen Dorf- und Familienleben in dieser relativ sicheren Provinz des römischen Reiches, in der der Vater Heide war, die Mutter Monica aber Christin. Sie erzieht Augustinus, und kurz vor seinem Tod im Jahres 372 konvertiert auch der Vater,
‒ durch die Zeit des Studiums in Thagaste, Madauros und Karthago, in der Augustinus Rhetorik erlernt, sich intensiv mit der Philosophie Ciceros beschäftigt und eine außereheliche Beziehung zu einer Frau eingeht, die über 15 Jahre dauern sollte und einen Sohn zur Folge hatte, den „Adeodatus“,
‒ durch die Phase, in der Augustinus sich dem Manichäismus zuwendet, einer verbotenen gnostischen Glaubensgemeinschaft und den Bruch mit ebendieser Gemeinschaft im Jahre 383,
‒ durch die Phase als Lehrer in Mailand, in der sich Augustinus erneut mit der Philosophie des Cicero beschäftigt und in der er den dortigen Bischof Ambrosius kennenlernt, der ihn durch seine Art der an Platon und Plotin geschulten Bibelauslegung beeindruckt. Nun begreift sich Augustinus als Philosoph.
Auch die Sorgfalt, die Lane Fox einsetzt, wird im Folgenden beibehalten. So erleben wir, wie sich Augustinus in Mailand taufen lässt, wir hören von seinen in den Confessiones ausführlich beschriebenen Bekehrungserlebnissen. Wir erfahren von seinem Rückzug nach Cassiciacum und von seiner Gruppengründung der „Gottesdiener“, die schon sehr stark klosterähnliche Elemente aufweist. Nach der Rückkehr nach Karthago nutzt Augustinus sein selbstverordnetes „kontemplatives Leben“, um Streitschriften gegen konkurrierende christliche Strömungen zu schreiben. In Hippo will er ein echtes Kloster gründen, wird aber gedrängt, sich zum Priester weihen zu lassen. Doch damit nicht genug: Ab 394 wird Augustinus zum Auxiliarbischof geweiht, 396 sogar zum Bischof. Trotzdem findet er Zeit, ganz wesentliche Teile seines Werkes bis ins Jahr 397/398 zu diktieren, die Gnadentheologie und die Confessionens, jenes sehr einflussreiche autobiografische Werk, aus dem Lane Fox so oft zitiert. Und mit dem Erscheinen dieses Werkes lässt er sein Buch auch enden.
Wer sich für die – frühe – Kirchengeschichte interessiert und wer eine glänzend geschriebene Biografie zu schätzen weiß, der wird an diesem Buch seine Freude haben. Der Verlag Klett-Cotta bringt es zu einem sehr günstigen Preis heraus, nämlich 38 Euro. Die EAN lautet: 978 3 608 98115 5.
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