Konrad Küster - Musik im Namen Luthers

Musik im Namen Luthers

Kulturtraditionen seit der Reformation

 

Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zum Lutherjahr. Denn es fragt innerhalb der Fülle der entsprechenden Literatur nach den Folgen, die die Veränderungen dieser Zeit auf die Musik hatten. In einem ausgesprochen gut zu lesenden Vorwort umreißt Küster zuallererst den Gegenstand und dann die Methodik. Es wird deutlich, dass sein Ansatz ein kritisch-hinterfragender ist und wir Leser uns darauf einstellen müssen, in vielem die uns bekannten Vorstellungen über Musik in jener Zeit über Bord zu werfen. Wie Küster dabei im Einzelnen vorgeht, ist sehr gut nachzuvollziehen, wenn man sich den eher biografisch geprägten Kapiteln widmet, z. B. „Kirchenmusik und Glaubenspolitik“, in dem das Leben von Heinrich Schütz unter die Lupe genommen wird, bzw. „Ich habe fleissig seyn müssen“, in dem das Wirken Johann Sebastian Bachs in Leipzig beschrieben wird.

 

Wer sich mit Schütz‘ Leben am sächsischen Hof in Dresden beschäftigt, erkennt sehr schnell, dass unser Bild dieses Musikers dringend revidiert werden muss. Denn Schütz war ein ganz herausragender Organist, und die Zeitgenossen wussten dies zu schätzen. Der Einfluss italienischer Musikmodelle des Barock auf Schütz war enorm, ebenso wie Schütz in seiner Musik „eher an Instrumenten und Solisten dachte“; eine wie auch immer geartete Choraufführung der Schütz‘schen Werke wird es zu seiner Zeit wohl kaum gegeben haben. Als Kapellmeister am Hof war er zudem eine Berühmtheit mit internationaler Erfahrung, ein politisches Schwergewicht, dem man durchaus auch delikate Aufgaben anvertrauen konnte.

 

Auch die Sicht auf Bach und sein Kantatenwerk bedarf in Teilen der Revision. Ich war bisher der Meinung, dass die Matthäuspassion der Gemeinde der Thomaskirche in Leipzig quasi als Zweikanal-Chorerlebnis vorgeführt wurde, Chor eins rechts, Chor zwei links positioniert, wie auch in einer Einspielung der Matthäuspassion unter Philipp Herreweghe mit dem Collegium Vocale bei Harmonia Mundi aus dem Jahre 1985 zu hören. Aber Küster legt überzeugend dar, dass einer der beiden Chöre hinter der Gemeinde gesungen hat und dass man überdies von einer Gleichgewichtigkeit der Chöre auch textlich überhaupt nicht ausgehen kann: Chor eins ist über das Passionsgeschehen informiert, Chor zwei plappert eher nach, kommentiert wohl auch, aber eher fragend. Auch gibt es zwei Instrumentengruppen, die in Analogie zu diesen Chören aufgestellt waren. Die Solisten, die zu Bachs Zeiten viel näher an der Chor zu denken waren und dort auch mit Sicherheit mitgesungen haben, sind wie alle Mitwirkenden Teil eines komplexen theologisch motivierten „raumakustischen mehrchorigen“ Predigtgeschehens, das einen ungeheuren Eindruck auf die Besucher dieses Gottesdienstes gemacht haben muss.

 

Wie wichtig gerade die regional sehr unterschiedlichen Voraussetzungen für Musiker im Rahmen der kirchenmusikalische Entwicklung in der Zeit der Reformation waren, zeigt das Kapitel „Musikprofis und Amateure“, in dem es unter anderem um die Stellung der Organisten, der Kantoren, der Laienschüler und Adjuvanten sowie das komplizierte Verhältnis untereinander geht. Da stehen ein quasi norddeutsches gegen ein mitteldeutsches Modell, ein Gegensatz, der sich bis in das 20. Jahrhundert nachvollziehen lässt.

 

Überhaupt kann man sagen, dass der Einfluss der alten, ursprünglichen Musikliturgie auf den Gottesdienst zu Beginn der Reformation ausgesprochen groß war und damit auch der Einfluss italienischer Musik, dem führenden Modell der Zeit. Gemeindegesang, wie wir ihn als typisch protestantisch Errungenschaft vermuten, spielt anfangs kaum eine Rolle. Musiziert wurde als Dialog von durchweg kleinen professionellen Ensembles miteinander. Eine Emanzipation des Gemeindegesangs im Rahmen einer neuen lutherisch-protestantischen Liturgie findet erst wesentlich später statt.

 

Küster untersucht in diesem Buch nicht zuletzt auch die spätere Rezeption eben jener angedeuteten Musiktraditionen bis in unsere Zeit hinein. Er unternimmt dies unaufgeregt und mit enormem Detailwissen. Deshalb ist dieses Buch ein Leckerbissen für alle, die sich für Musikgeschichte interessieren.

 

Das Buch umfasst 316 Seiten und ist als Parallelausgabe bei Bärenreiter und Metzler zum Preis von € 34,95 erschienen.

 

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