Wie kann man über einen Terroranschlag berichten, ohne selbst zynisch zu werden? Wie verhält sich Mitgefühl zu Berichtswahrhaftigkeit? Was bedeuten die Bilder für eine Reportage. Stehen sie für die „Wahrheit“, oder sind sie nur ein Mittel zur Auflagenerhöhung? Anders gefragt: Darf ich alles fotografieren, was mir möglich ist, oder gibt es eine Art Opferschutz? Was bedeuten solch ein Anschlag und die Berichte darüber für Europa, was für die Welt? Nach den schrecklichen Ereignissen im November 2015 in Paris versucht die Journalistin Caren, Antworten auf einige dieser Fragen zu finden. Vom Flughafen Heathrow in London aus soll sie dorthin fliegen und das Unfassbare beschreiben. Bereits zweimal ist sie bei Anschlägen nur knapp mit dem Leben davongekommen.
Auch ihr Liebesleben verunsichert sie zunehmend: Sie lebt in einem Dreiecksverhältnis. Da gibt es Ben, der auch in London wohnt und dessen Frau sie sogar kennengelernt hat. Ben und Caren sehen sich in verabredeten Rhythmen, konsequent wird getrennt, hier Ehe, da Liaison. Auf der anderen Seite gibt es einen Fotografen in Paris, den Caren nicht nur beruflich schätzt. Nach einer eher hastigen Affäre wandern Carens Gedanken, mehr als ihr lieb ist, zu Julien.
Da lernt sie auf dem Flughafen im Warteraum einen älteren Mann kennen, der in einem Buch des Philosophen Wittgenstein liest. Sie kommen ins Gespräch, das sie neugierig macht. Denn ihr Gesprächspartner, Zufallsforscher und Philosoph, der sich nicht namentlich vorstellt und daher bei ihr deshalb nur „Wittgenstein“ heißt, berührt fast beiläufig die großen Themen des Lebens: Liebe, Anziehung, Bindung, Geschichte(n), Regeln, Zufall, Vorherbestimmung, Tod, Verlust und Zukunft.
Und dann holt auch London der Terror ein: Die Lobby des Flughafens verwandelt sich in ein Trümmerfeld. Wie alle überlebenden Passagiere wird auch Caren von der Polizei vernommen. Im Laufe des Verhörs zeigt sich, dass Caren alles, aber wirklich alles neu denken muss. Wiederum macht sie sich auf den Weg und versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen, so wie ihr Beruf das von ihr verlangt. Husch Josten hat eine großartige Novelle geschrieben, der ich viele Leserinnen und Leser wünsche. Das Buch ist im Berlin Verlag erschienen und kostet 16 Euro.
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