Diese Geschichte der Reformation hat es in sich: Thomas Kaufmann, Professor für Kirchengeschichte und Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, hat ein detailgenaues und bewegendes Buch vorgelegt, das allen wissenschaftlichen Kriterien genügt. Aber diese 500-Seiten-Darstellung mit Zeittafel, Anmerkungen, Personen- und geografischem Register kommt in einer sehr einfachen Sprache und Form daher. Kaufmann will Interesse wecken und den Leser quasi in das Thema hineinziehen. Deshalb schreibt er über das „schwere“ Thema Reformation ungewöhnlich lesbar und verwendet Reproduktionen alter Stiche, weitere Abbildungen aller Art und vor allem Flugblätter aus der damaligen Zeit. So gelingt es ihm, das weit zurückliegende Geschehen farbig zu gestalten.
Bereits die im ersten Oberkapitel „Luther und die Reformation“ dargestellten Sachverhalte überzeugen, und zwar auch dann, wenn der Leser von liebgewordenen Meinungen Abschied nehmen muss. Das Wichtigste für mich ist der Einfluss der Publizistik in der frühen Neuzeit, den der Autor übrigens in einem eigenen Kapitel vertieft. Nicht minder wichtig: die „engen Verbindungen innerhalb der europäischen Staatenwelt“ und die „globalen Strukturen der lateineuropäischen Kirche“. Ohne Luther, ohne dessen persönlichen Beitrag zur öffentlichen Meinung dieser Zeit hätte es keine Reformation gegeben. Andererseits konnte dieses biografische Element nur deshalb so viel Gewicht gewinnen, weil die gesamteuropäischen Voraussetzungen dafür günstig waren.
Eine Reformation war ja bekanntermaßen schon vor Luther angemahnt worden, innerkirchlich sozusagen. Und die Zustände in den verschiedenen politischen Räumen waren im Umbruch, womit wir schon im zweiten großen Oberkapitel wären, „Die europäische Christenheit um 1500“. Hierin scheinen mir die Unterkapitel „Ordnungen“, „Geistige und geistliche Gemeinsamkeiten“ und vor allem „Kulturelle Aufbrüche“ am wichtigsten. Das dritte Oberkapitel beinhaltet „Die Frühe Reformation im Reich bis 1530“: Neben einer guten Lutherbiografie geht es um den Wormser Reichstag, um Zwingli, Müntzer und die Errichtung der evangelischer Kirchentümer.
Das vierte Oberkapitel, „Das Reformatorische Europa bis 1600“, bietet uns einen Überblick über die frühreformatorischen Bewegungen außerhalb des Reiches, eine sehr gute Beschreibung der „Zürcher Reformation“ und des Lebens von Johannes Calvin. Unterkapitel befassen sich mit den Veränderungen in Frankreich, England und Nordeuropa. Besonders wichtig: dasjenige zum „ruhelosen“ Reich, das über den Schmalkaldischen Bund und Krieg berichtet und die Entwicklung bis hin zum Augsburger Religionsfrieden skizziert. Hier findet auch der „lutherische Theologenstreit“ seinen Ort; es wird deutlich, warum es keine gemeinsame lutherische bzw. protestantische Position in der Theologie der damaligen Zeit geben konnte. Und die katholische Kirche reagierte auf diese Herausforderung zum Beispiel mit dem Konzil von Trient.
Die beiden letzten großen Hauptkapitel beschäftigen sich mit der Rezeption dessen, was wir Reformation nennen, und das bis in unsere Zeit hinein. Es wird deutlich, dass die – wissenschaftliche – Deutung dieses geschichtlichen Phänomens je nach Zeitalter und/oder Standpunkt ganz unterschiedlich ausfällt. Wie schön, dass der Autor auch den eigenen Standpunkt darlegt, nämlich im Epilog, den er mit „Zauber des Anfangs“ betitelt. Ich wünsche diesem Buch ganz besonders viele Leser!
Es ist bei C. H. Beck unter der EAN 978-3-406-69607-7 erschienen und kostet Euro 26.95
Kommentar schreiben
erich (Samstag, 13 Mai 2017 03:55)
danke für die einladende rezession. ich hab schon in die leseprobe reingelesen. die beiden letzten kapitel sind wohl neben der geschichtlichen Einordnung die wichtigeren für mich. salute erich
Ute (Samstag, 13 Mai 2017 15:55)
Na, das scheint ja mal ein Buch zu sein, das wirklich alle Facetten der Thematik beleuchtet. Und das auch noch in einer Sprache, die man im Gegensatz zum Soziologendeutsch lesen, verstehen und sogar genießen kann. Danke an den Buchhändler für den Tipp!