Mit „Nach Hause gehen“, seiner neuen Veröffentlichung, hat Jörn Klare ein ganz wunderbares Buch abgeliefert, diesmal allerdings im Ullstein Verlag, nicht mehr bei Suhrkamp. Der Autor arbeitet als Journalist unter anderem für die „Zeit“ und den Deutschlandfunk und verfasst als Schriftsteller Theaterstücke und Sachbücher.
Worum geht es? Klare unternimmt in diesem Buch eine Wanderung durch unser jetziges Deutschland, nämlich von seinem augenblicklichen Wohnort Berlin aus nach Hohenlimburg, seiner Geburtsstadt im Sauerland. Das sind fast 600 Kilometer, die er zu Fuß in etwa 30 Tagen bewältigt. Sein Bericht verschränkt zwei Richtungen: Zum einen den Abschied von und das Fortkommen aus Berlin, zum anderen die letzten Tage vor Erreichen seines Zieles Hohenlimburg, heute ein Stadtteil von Hagen.
Klares Bericht liest sich wie ein – allerdings nicht chronologisch aufgebautes – Tagebuch. Schön, dass uns eine Karte auf dem Buchvorsatzpapier genauer mit seiner Route bekannt macht. Neben den Mühen des Wanderns und der Orientierung steht die Begegnung mit den Menschen im Vordergrund. Der Autor versteht es, in kurzen und klaren Sätze sein Gegenüber zu charakterisieren, dessen Aussehen, dessen Einstellung(en), dessen Rede.
Mich haben die aggressiv-nationalistischen Aussagen getroffen, über die Klare mehrfach berichtet, kaum dass er Berlin verlassen hat. Es gibt einen in jeder Beziehung fremdenfeindlichen Gesamtkontext, der auch in den strukturschwachen Gebieten der ehemaligen Bundesrepublik häufig anzutreffen ist. Schön, dass es auch andere Reaktionen auf Flüchtlinge und Ausländer gibt. Klare berichtet hier zum Beispiel über die Situation in Halberstadt bei der „Zentralen Anlaufstelle für Flüchtlinge“ in Sachsen-Anhalt.
Wer wandert, hat Zeit. Er kann versuchen, Antworten auf die Fragen zu finden, die ihn zum Wandern bewogen haben, beispielsweise: Was genau ist Heimat, was ist Fremde? Was bedeuten diese Begriffe für mich und andere? Warum ist Heimat wichtig, wofür ist sie gut? Und der Wanderer möchte natürlich auch wissen: Wer bin ich? Wer will ich sein? Was mache ich mit der Lücke? Und natürlich auch, konkret wie übertragen gemeint: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Was liegt dazwischen?
Für wen ist dieses Buch?
̶ Für alle, die am gegenwärtigen Zustand unseres Landes interessiert sind, die also wissen wollen, wie es in den Köpfen der Menschen aussieht, die hier wohnen.
̶ Für alle, die an dem Unterschied West und Ost interessiert sind und an seiner Aktualisierung.
̶ Für alle, die sich für die Wurzeln interessieren, die uns heben und tragen, für die „Heimat“ also, die wir heute wohl anders definieren als früher.
̶ Für alle, die Kurzbiografien von Menschen in ihrem geografischen Kontext mögen: vom einem heimatlosen Mönch in Meschede, einem engagiert-politischen Heimatforscher in Lautental, einer beherzt-ruhigen Sozialarbeiterin in Halberstadt oder einer polnischen Wanderarbeiterin in Bad Beelitz.
̶ Und natürlich für alle, die Sachbücher lieben, in denen komplizierte Inhalte uns einfach nahegebracht werden.
"Nach Hause gehen" von Jörn Klare ist im Verlag Ullstein erschienen und kostet 20 Euro.
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