Als „hartgesottener“ Leser bin ich ja einiges von Erstlingsbüchern gewohnt. Trotz des Lektorats als der verlegerischen Grundaufgabe beim Erstellen neuer Bücher gibt es doch bei vielen Erstlingen den einen oder anderen klitzekleinen Mangel. Nicht so bei dem Buch von Pierre Jarawan: Ich bin der Stadt München dankbar, die den Autor mit einem Stipendium gefördert hat.
Worum geht es überhaupt konkret in diesem Buch? Im Gefolge des libanesischen Bürgerkriegs kommen Samirs Eltern in den Achtzigerjahren nach Deutschland. Samir, der Ich-Erzähler dieses Buches, verehrt seinen Vater über alles. Das Verhältnis der beiden ist auch deshalb so eng, weil der Vater seinem Sohn Geschichten erzählt, die märchenhaft die verlorene Heimat zum Thema haben. Diese Geschichten sind in vielem Anspielungen auf die Vergangenheit der Familie und spielen im Buch eine wichtige Rolle.
Als Samir acht Jahre alt wird, verschwindet der Vater spurlos. Niemand weiß, wohin er gegangen ist, auch der engste Freund der Familie Hakim weiß nicht mehr. Aber Samir vermutet, dass sein Vater sich wieder im Libanon aufhält.
Mit Anfang zwanzig macht sich Samir auf den Weg in den Libanon. Bei seinem Abschied erhält er von Hakim das Tagebuch des Vaters, das dieser ihm zur Aufbewahrung am Tag vor seinem Verschwinden anvertraut hat. Samir liebt die Tochter Hakims, Yasmin. Samir möchte sie heiraten, aber Yasmin verlangt von ihm, dass er seine Vergangenheit klärt, damit ihre Liebe eine Basis haben kann.
Kunstvoll und wie im Kriminalroman verwebt Jarawan die verschiedenen Stränge, die dieses Buch ausmachen:
̶ Die Geschichte Samirs und seiner Familie in Deutschland, seine Fremdheit und den Weg der Familie in die Gesellschaft.
̶ Das Tagebuch des Vaters, das ohne die Geschichte Beiruts und des Libanon gar nicht denkbar ist, wobei ein altes Sprichwort sagt: „Wer glaubt, er habe den Libanon verstanden, dem hat man ihn nicht richtig erklärt.“
̶ Die Situation im Libanon heute: Eine Gruppe von Studenten setzt dem Wahnsinn des Bürgerkriegs – jeder gegen jeden – ein Projekt entgegen, ein Archiv. Dieses Archiv soll das Schicksal der Verschwundenen, der im Bürgerkrieg Entführten und Getöteten auf- und nachzeichnen und so zum Symbol einer gruppenübergeordneten neuen libanesischen Identität werden.
„Am Ende bleiben die Zedern“ ist ein unglaublich schönes, nachdenkliches, witziges und dabei grundeinfach zu lesender Buch, das auf eine sehr unterhaltsame, spannende Art einige der wesentlichen Fragen der menschlichen Existenz beschreibt: Wer bin ICH und wer bist DU? WOHER komme ich? WOHIN gehöre ich? Kann ich mein (geliebtes) Gegenüber überhaupt verstehen? Was bedeutet Bürgerkrieg für den einzelnen, was für alle? Wie bewährt sich Freundschaft in einem solchen Krieg? Was ist Schuld in dieser Situation und was bedeutet ganz allgemein Heimat und Fremde? Außerdem gibt es einige unglaublich poetisch und schön erzählte Geschichten zum Thema Liebe und Freundschaft.
Ich wünsche diesem Buch ganz viele Leser!
Dies Buch ist im Berlin Verlag erschienen und kostet 22 €.
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