Dies ist die Lebensgeschichte, die uns die alte Baba Dunja, eine ehemalige Hilfskrankenschwester, erzählt: ein Ich-Bericht, der es in sich hat. In einfacher Sprache spricht sie von sich, von Ihrem Leben jetzt in Tschernowo, einem Dorf in der Nähe von Tschernobyl. Dort ist auch jetzt noch ein Aufenthalt, der länger als einen Tag dauert, lebensgefährlich. Sie lebt dort nicht allein, hat andere um sich geschart: Petrov, schwer krank, aber unermüdlich lesend; das Ehepaar Gavrilov, passionierte Schachspieler beide; den fast hundertjährigen Sidorow; die Nachbarin Marja, eine ehemalige Melkerin und Lenotschka, eine Spezialistin in Sachen Hühnerhaltung. Sie alle wohnen in den verlassenen Häusern des Dorfes, das selten Strom hat. Wasser kommt aus dem Dorfbrunnen, (verstrahlte) Lebensmittel aus dem eigenen Garten. Eine eigentümliche Gemeinschaft von Verweigerern ist entstanden, die die tödliche Hinterlassenschaft der Reaktorkatastrophe von 1986 ignoriert.
Baba Dunja, die in kurzen Rückblenden auch von ihrem Leben erzählt, hat Verwandtschaft in Deutschland. Sie schreibt ihrer Tochter Irina, die dort bei der Bundeswehr als Ärztin arbeitet. Gerne hätte Baba Dunja mehr Kontakt zu Laura, ihrer Enkelin, aber der will sich nicht einstellen. Irina überschüttet Baba Dunja zwar mit Päckchen und Paketen mit allem Möglichen, aber sie berichtet zunehmend sparsam von der eigenen Tochter.
Es gibt viele Gründe, dies schmale Bändchen zu lesen: die einfache, aber treffsichere Sprache Baba Dunjas. Der ungeschönte Bericht über Leben (und Sterben) der einfachen Menschen in der Sowjetunion und der Zeit danach. Die lakonischen Dialoge, die Alina mit ihrem schon lange verstorbenen Ehemann Jegor führt. Die Turbulenzen, die im Dorf entstehen, als ein Fremder mit seiner Tochter dort auftaucht und Baba Dunja bedroht. Die Folgen, die das Auftauchen der Miliz im Dorf daraufhin mit sich zieht. Und eine letzte Entscheidung Baba Dunjas: ein bescheiden formulierter Akt der erneuten Verweigerung.
„Baba Dunjas letzte Liebe“ ist im Verlag Kiepenheuer und Witsch erschienen und kostet 16 Euro.
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