Genau wie in „Sunset“, einem Buch über den alternden Lion Feuchtwanger, legt uns Klaus Modick in „Konzert ohne Dichter“, eine Romanbiografie vor. Ein berühmtes Bild des Jugendstilmaler Heinrich Vogeler, „Konzert auf dem Barkenhof“, soll um 1905 im Rahmen einer großen Ausstellung mit anderen Bildern in Bremen gezeigt werden. Der Künstler wird (dafür) den Preis für Kunst und Wissenschaft bekommen.
In einer Technik klug montierter Rückblenden gelingt es dem Autor, die Geschichte der in der Nähe von Bremen gelegenen Worpsweder Künstlerkolonie aus dem Blickwinkel Vogelers noch einmal neu zu erzählen. Diese Geschichte beginnt etwa 1889: die sich dort ansiedelnden Maler lehnen das Leben in der Stadt ab, suchen die Ursprünglichkeit der Natur, wollen ein anderes Leben führen, und versuchen einen neuen Blick auf die Welt. Die Resultate dieser Ästhetik, seien es Bilder oder Plastiken, sind verschiedenen Kunststilen zuzuordnen: Einige wohl eher dem Impressionismus, andere dem Jugendstil bzw. dem Expressionismus.
Ganz unterschiedlichen Figuren kommen in diesem Buch zu Wort: Die Maler Paula und Otto Modersohn, Fritz Mackensen, Clara Westhoff, spätere Clara Rilke und Heinrich Vogeler selbst, der reiche Bremer Kaufmann Ludwig Roselius, der als Mäzen in regelmäßigen Abständen nach Worpswede kommt, sich bei Vogeler meldet und nach neuen Werken fragt. Ohne seine materielle Zuwendung sind viele der Künstler nicht in der Lage, zu überleben.
Auch Schriftsteller tauchen in diesem Buch auf: zum Beispiel Gerhard Hauptmann, der Worpswede regelmäßig von Berlin aus besucht, und sich auf den Festen, die rund um den Barkenhof stattfinden, mit ausufernden Lesungen aus seinen Werken und einem enormen Alkoholkonsum hervortut. Oder der Dichter Rainer Maria Rilke, der 1889 bis 1902 in Worpswede bzw. Westerwede, einem Dorf in der Nähe, wohnt.
Das Verhältnis Rilke Vogeler ist der Dreh- und Angelpunkt dieses Romans. Rilke, an sich ein Großstadtmensch, sucht in Worpswede eine neue Heimat. Aber das komplizierte Dreiecksverhältnis zwischen ihm, Paula Modersohn und Clara Westhof wird zum Sargnagel der Freundschaft zu Vogeler. Oft genug pumpt der damals noch junge und unbekannte Rilke den berühmten zahlungskräftigeren Maler an. Die Männerfreundschaft, die auf einer Begegnung in Italien basiert, bekommt schon um 1902 empfindliche Risse. Die Entfremdung zeigt sich in der Neugestaltung des Bildes „Konzert im Barkenhof“. Rilkes Porträt, ursprünglich zwischen Paula Modersohn und Klara Westhoff situiert, wird übermalt, quasi gelöscht, und die Endfassung kennt den Dichter nicht mehr.
Und Vogeler? Wir erleben ihn als äußerlich erfolgreichen Künstler, der auf dem Höhepunkt seines Schaffens steht. Aber er steckt gerade jetzt in einer tiefen Krise: seine Ehe empfindet er als schwierig, die Bindung an Rilke zerbricht im Jahre 1905 endgültig, seine Arbeit erscheint ihm als Zumutung, das Verhältnis zu den Malerkollegen sieht er aus politischen Gründen zunehmend distanziert. Modick hat ein kluges Buch geschrieben und ermöglicht damit einen tiefen Einblick in eine Künstlerkolonie, die in manchem für eine ganze Epoche steht. Sie endet 1914 mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges.
„Konzert ohne Dichter“ ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet Euro 17.99.
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Eiserfrau (Sonntag, 08 November 2015 15:46)
Das hilft doch deutlich weiter als der Verlags-Werbetext. Habe das Buch nun gleich auf meine "Muss ich lesen"-Liste gesetzt!
Ein Fan/in (Montag, 10 August 2020 20:07)
TollerBlock! Endlich mal eine gute Buchvorstellung mit Büchern die sich wirklich zu lesen lohnen. Danke. Bitte mehr davon...